
Straße, öffne dich!
Ein warmer Sommerabend, die Sonne steht schon tief und taucht die Straße noch einmal in weiches Licht. Ein kleines Mädchen tanzt versonnen zu den Klängen einer Salsa-Band. Alte Männer sitzen auf Stühlen am Straßenrand, unterhalten sich Bier trinkend, während aus einem bunten Foodtruck Tacos verkauft werden. Menschen tummeln sich um Stände mit feilgebotenen Handarbeiten, Nachbarn trinken plaudernd Mojito, Bezirkspolitiker und lokale VIPs finden sich zum Fototermin ein.
Für einen Moment könnte man glauben, auf einem anderen Kontinent zu sein, aber nein, wir sind nicht in Havanna. Wir sind mitten in Wien, auf einem lateinamerikanischen Straßenfest.
Es geht vielleicht nicht ganz so spontan zu, wie in südlichen Städten, aber die Szene wirkt ähnlich: Wohnzimmeratmosphäre auf der Straße, unaufgeregte Festlichkeit. Und es ist bei weitem nicht die einzige Veranstaltung, die die geschäftige Routine eines Wiener Viertels durchbricht.
Eine Untersuchung der Mobilitätsagentur zeigt die zunehmende Beliebtheit der Wiener Straßenfest-Szene. Allein im Jahr 2016 erfreuten sich über eine halbe Million Menschen an über 400 Straßenfesten. Würde man diese Veranstaltungen alle aneinander reihen, so erstreckten sie sich über eine Länge von beinahe vier Kilometern.
Immer öfters finden Menschen zusammen und veranstalten gemeinsam Feste in Parks, auf Plätzen oder auch in Sackgassen und Nebenstraßen. Dass letztere für Fahrzeuge manchmal gesperrt werden, mag Autofahrende zuweilen nerven. Für alle anderen bedeuten Straßenfeste eine Öffnung: mehr Raum, mehr Zeit für nachbarschaftliche Beziehungen, zum Spielen und zum Erholen.
Damit ein Straßenfest gelingt, müssen Veranstalter aber einiges an Zeit und Geld investieren. Das Einholen von Genehmigungen, die Suche nach freiwilligen HelferInnen und Sponsoren ist keine leichte Aufgabe. Ein Leitfaden zum Organisieren von Straßenfesten sowie Förderungen für Kultur- und Grätzlinitiativen können da hilfreich sein.
Die neue Plattform www.streetlife.wien ist ein weiterer Service für Menschen, die gerne Straßenfeste besuchen und solche, die selbst welche organisieren möchten. Hier kann man nach Lust und Laune nach Straßenfesten in Wien suchen, seine eigenen Feste kostenfrei bewerben und Tipps rund um Interventionen im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel Parklets und Grätzloasen, finden. Nicht zuletzt ist die Plattform eine Hommage an die lebendige Straßenfest-Szene in Wien.
Es ist mittlerweile dunkel geworden vor der Altlerchenfelder Kirche. Die Tacostände werden weggeräumt, die Band stimmt ihr letztes Lied an. Die BewohnerInnen der Straße sollen auch ihre Ruhe haben, darum ist um zehn Uhr Schluss. Wir sind schließlich in Wien, und nicht in Havanna.

(c) Rene Patschok
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